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Ensemble Bitter
Ensemble Bitter war ein landesweiter Arbeitskreis in NRW. Das Ensemble existierte seit Herbst 1991. In vielen Inszenierungen und Gastspielen auch außerhalb NRWs zeigte Ensemble Bitter, dass Theater mehr beinhaltet, als bloße Lust am Spiel. Bildquelle: © Jörg Weirauch

ensemble bitter

„Theater ist nur dann gut, wenn es uns nervös macht.“ (George Tabori)

Theater soll als öffentlicher Ort erfahrbar werden, der Raum und Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Interessen bietet, Probleme, Freuden und Sehnsüchte aufgreift und thematisiert.

„In der Kultur findet das Schöne statt, für das in der harten Realität kein Platz ist.“, so die landläufige Meinung. Ensemble Bitter hält dagegen: Nicht platte Unterhaltung und Ablenkung ist gefragt, sondern Theater als Ort der öffentlichen Auseinandersetzung mit der vorhandenen Lebenswelt, mit eigenen und fremden Interessen.

Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne dogmatische Richtungsangabe fördert und fordert das Ensemble, sich die Welt erfahrbar zu machen und zu gestalten. Nachfolgend ein paar Informationen zu den Stationen des Ensembles und seinen Stücken. Das Geschehene auf der Bühne bleibt nie harmlos, denn lebendiges Theater provoziert. Spielweise und Stil weisen stets über das Normale und Alltägliche hinaus, erregen die Gemüter und wühlen Emotionen auf. Das macht Theater und Ensemble Bitter so anziehend.

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B I T T E R S T Ü C K E

[su_spoiler title=“Bitterstücke 1991 -1996„]

Plakat01„Keine Angst vor zuviel Gefühl“ – Ein literarischer Abend

“Keine Angst vor zuviel Gefühl” war ein literarischer Abend mit Texten von Tucholsky, Lettke u.v.a.m. und gleichzeitig der Beginn des künstlerischen Wirkens des Ensembles in der Öffentlichkeit. Das Programm gestaltete sich wie folgt:

01. Overture/Das Geröhre (Ensemble Bitter)
02. Hommage an das Publikum (Leander/Ensemble Bitter)
03. Oh hochverehrtes Publikum (Tucholsky)
04. Guten Abend II (Pauli)
05. Karrieren (Tucholsky)
06. Das unschätzbare Geschenk (Mozart/Ensemble Bitter)
07. Eine leere Zelle (Tucholsky)
08. Kontakt – Wo bist du? (Ensemble Bitter)
09. Die Leibesfrucht spricht (Tucholsky)
10. Die geteerte Straße (?)
11. Das Deutsche Alphabet (Lettke)
12. Davon geht die Welt nicht unter (Leander/Ensemble Bitter)
13. Lotto (Ensemble Bitter)
14. Die Frau spricht (Tucholsky)
15. Wie man’s macht (Tucholsky)
16. Guten Abend III (Pauli)
17. Fragen (Gilberg)
18. Guten Abend IV (Ensemble Bitter)
19. Finale (Ensemble Bitter)
20. Uns tut nichts leid (Ensemble Bitter)

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Keine Angst… Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Fragen
Bist du still genug, die Musik des Augenblickes zu hören?
Bist du verspielt genug, dem Kurs des Schmetterlings zu Folgen?
Bist du absichtslos genug, dich von mir überraschen zu lassen?
Bist du sehnsüchtig genug, auf die Reise nach innen zu gehen?
Bist du mutig genug, auf die Berge deiner Möglichkeiten zu steigen?
Bist du spontan genug, einen Fremden zu umarmen, der kein Fremder ist?
Bist du einfach genug, einfach nur da zu sein?
Bist du geduldig genug, noch mehr Fragen anzunehmen?
Bist du frei genug, dich zu drehen wie im Wind?
Bist du musikalisch genug, dein eigenes Lied zu singen?
Bist du lieb genug, um Kinderherzen nicht zu erschrecken?
Bist du lebendig genug, um keine Angst vor dem Tod zu haben?
Habe ich genug Fragen gestellt, um deine ungestellten Fragen zu beantworten?
(Helge Gilberg)

Das Ende
Schönes Leben, du liegst krank, und uns ist das Herz müd‘ vom Weinen.


Plakat02„Clavigo“ – Ein Trauerspiel nach J. W. Goethe

Clavigo oder Dichtung und Wahrheit
Clavigo ist kein Held. Clavigo ist ein Spieler. Er ist auch kein Genie. Carlos ist Clavigos Held und Genie. Sein Kopf, der ihm sagt, was er zu denken hat. Clavigo versprach Marie die Heirat und auf Carlos’ Rat hin, bricht Clavigo dieses Versprechen. Marie verfällt daraufhin dem Wahn. Clavigo ist leer und Zweifel plagen ihn. Er steht vor der Entscheidung zwischen seiner Hinwendung zu Marie oder einer Karriere am Hof. Doch  Carlos sinniert eine Intrige, auf die sich Clavigo einlässt.

Anders als bei Goethe, geht hier diese Intrige viel weiter als Clavigo sich vorzustellen vermag. Carlos, der ohne Clavigo ebenso leer wäre, spielt ein teuflisches Spiel. Und dieses Spiel entgleitet Carlos. Zu spät erkennt er, was er angerichtet hat. So nimmt das Unheil seinen Lauf…

Im Originaltext von Goethe sind Carlos und Beaumarchais zwei getrennt voneinander handelnde Personen: Carlos, der sagt, was Clavigo zu denken hat, und dass die K arriere wichtiger sei als eine Heirat mit einer Bürgerlichen; Beaumarchais, der seiner Schwester die Ehre wiedergeben muss, und Clavigo sagt, was er zu fühlen hat. Um die Intrige von Carlos zu verstärken, spielt bei uns Carlos beide Rollen. Er gaukelt sowohl Clavigo als auch Marien den Bruder vor. Auch Marie, im Original durch ihre Schwester Sophie gestützt, spielt bei uns die, durch Clavigos hin und her, in die Schizophrenie getriebene Marie-(/)-Sophie. Deshalb ein Trauerspiel nach und nicht von Goethe.

Das Ende
Ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin. (Clavigo im 1. Akt)

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Clavigo und Carlos. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr
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Beaumarchais mit Marie. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

 

 

 

 

 

 

 


Plakat03„Channel B: Die Zapping-Show“ – Eine TV-Revue/Teil 1

Aktuelles: Birte Schmidt-Rübner und Birger Rübner-Schmidt mit aktuellem aus aller Welt. Ächt aktuell. Der Aufschwung: Ein Schwank unserer Zeit mit Haltungen, die nicht versprochen und Versprechungen, die nicht gehalten werden. Heiteres Begrifferaten: Ratespiele in unermüdlichem Aufguss. Typisch.

Bei ARD und ZDF reihern Sie in die ersten Sitze. Der Kammer-Hammer: Komödienstadl? Weit gefehlt! Derbe Unterhaltung bei RTL. *#+%&-filme für Anfänger oder Rumtreiber… und so weiter. Der ganz normale Wahnsinn, der einem beim Zappen vor die Augen kommt.

Finale. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Plakat04„Channel B: Das TV-Magazin“ – Eine TV-Revue/Teil 2

Die (S)Hitparade: Doku-Drama mit Dietlinde T. Heck. Sie stellte uns erbarmungslos die Welt des deutschen Schlagers vor. Von den übermäßig genährten Wildecker Schmerz-Buam bis zum weinerlichen Herzkranzgefäß-Singer Chris (Kam) Anners. Das schweigend‘ Dilemma: Horror, Blutrausch und Gemetzel ohne Ende. Glücksrad: Dumpfe Gäste in dumpfen Spielen mit dumpfen Preisen vor einem dumpfen Publikum. Ziemlich dumpfe Sache. Der Film-Film Film: Film stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Vielleicht läuft ja wieder so was spannendes wie: „Die Flusensammler von St. Kathrein“. Weg Da!: Tore, Punkte, Meisterschaften in Sportarten, die wir zu anderen Sendezeiten als 3:15h auch gar nicht sehen wollen! Der Wahnsinn geht weiter.

Das Publikum war heute wieder wundervoll, und traurig klingt der Schlußakkord in Moll, Moll, Moll. Wir sagen „Dankeschön!“ und „Auf Wiederseh’n! Schau’n Sie mal wieder rein! Ein bißchen Spaß muß sein … und tschüß!“ Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Plakat05„Kanal Banal 1“ – Eine Posse der deutschen Unterhaltung

Video-Clips:Schwarze und Weiße vor einer Mülltonne, die sich unsportlich verrenken. Rap, Zap, Hip-hop-House-Rave-Metal und der ganze gebrabbelte Kram von Bands, deren Namen ebenfalls unaussprechlich sind! Das Wort zum Sonntag: Pröbstin Elvira Clothilde von Hahnenschrei-Rittling spricht heute über die SXXXXXX und das gXXX XXXXX, das FXXXXXXXXXX-XXXXXXXX und über VerXXXXXXXXX. Aerobic zur Nacht: Pröbstin Elvira Clothilde von Hahnenschrei-Rittling zeigt Ihnen das, was im Wort zum Sonntag der Zensur zum Opfer fiel…

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Im Auftrag der Kultur untwerwegs. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Plakat06„Kanal Banal 2“ – Eine Farce der Freizeitgestaltung

WETTEN WAS?!: Tommy, der alte Blondschopf, hat wieder viele prominente Gäste und skurrile Wetten parat. Heute Abend: Dolly Basta, Eros Rambozotti und “Wetten, dass Theo Waigel bis 97 den Schuldenberg abbauen kann?” Wenn nicht, so verspricht er: “Bleibe ich im Amt!” Spannend, gell?

GEH’ AUF’S GANZE: Die Abzock- und Folter-Show mit Jörg Quäler. Lassen Sie sich auch heute bezaubern von leeren Umschlägen, bescheuerten Zonks in Tor 3 und gewinnen Sie einen Einkaufskorb im Wert von 1000 Lire.

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Collage. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

TRAUMPAARE: Gutaussehendes Model sucht Traumpartner für’s Leben. Suchen Sie mit. Schicksalhafte Begegnungen, rätselhafte Tiefschläge und Traumpaare, die eigentlich keiner haben will…

HANS MEISER: Brüll dich heiser mit Meiser. Was als Talk-Show einst interessant begann, wird nun zum Tummelplatz der Arschgeigen. Jeder doofdröge Trottel darf uns nun mit seiner Meinung “Ich spende mein Hirn dem Bundestag” nerven. Wo bleibt der NOTRUF?

GAYWATCH: Braune Burschen spülen am Strand auf selbstgemachten folkloristischen Instrumenten. Geschmeidige Körper wiegen sich im Mondlicht. Lachen, weiße Zähne und schöne Frau’n. Und dann hatte der Fernseh-Wahn endlich ein Ende…

 

 

 

 


Plakat07„Das Orchester“ – Eine Groteske von Jean Anouilh

Zum 5-jährigen Jubiläum gab es Anouilhs Groteske.
Jean Anouilh schätzte das Spiel so hoch, weil es imstande ist, den Schmerz zu überspielen. Untröstlich und fröhlich – so ist Anouilh in seinen Stücken. Er mag die Welt nicht, sie ist ihm zu schmutzig. Seine eigene dramatische Welt bevölkerte er mit einem Schwarm reiner junger Mädchen, als wolle er die Schöpfung korrigieren; doch in seinen Stücken (die er die “schwarzen” nannte) gehen sie alle unter, denn diese Trotzköpfe ihrer Ideale wollen das Unbedingte, das Absolute, und dies wird in der bedingten Welt der Kompromisse nicht geboten, außer im Tod.

Wir können uns gegenseitig unter mehr oder weniger edlen Vorwänden verletzen, verraten, massakrieren, uns mit scheinbarer Größe aufblasen: wir sind komisch. Nichts anderes, wir alle, einschließlich derer, die wir unsere Helden nennen. Mögen die langweiligen Philosophen der Verzweiflung, die in regelmäßigen Zeitabständen und ein wenig naiv immer wieder das Schreckliche der menschlichen Extistenz entdecken und uns daran hindern möchten, uns im Theater amüsieren, sich in das Unabänderliche fügen: wir sind komisch! Und das ist letzten Endes noch schrecklicher als die grauenvollen Schilderungen unseres Nichts. (Jean Anouilh)

Das Ende
“…und Häkeldecken machen eine intime Atmosphäre!…”

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Das Orchester. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

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[su_spoiler title=“Bitterstücke 1996 – 2000„]

Plakat08„Draußen vor der Tür“ – Nachkriegsdrama von W. Borchert

Der 25 Jahre alte Unteroffizier Beckmann kommt 1947 aus russischer Gefangenschaft nach Hause. Er trägt eine Gasmaskenbrille, hat Hunger und ein steifes Bein. Seine Frau hat sich einen Freund genommen, sein Sohn liegt tot unter dem Trümmerschutt. Beckmann ist müde, lebensmüde. In einem Selbstmordtraum wirft ihn die Elbe zurück an den Strand. Ein Mädchen nimmt ihn mit, doch ihr seit drei Jahren vermißter Mann kommt nach Hause. Ein Durchhaltebefehl Beckmanns in Russland ist schuld daran, daß der Mann nur noch ein Bein besitzt. Der Oberst, dem Beckmann “die Verantwortung zurückgeben will”, lacht ihn aus. Ein Kabarettdirektor ist zu feige, Beckmanns Ernst und Pazifismus dem Publikum anzubieten. Beckmanns Eltern, der Vater war ein denunzierender Antisemit, haben sich mit Gas vergiftet.

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Der Oberst. Bildquelle: © Nicole Ribbrock

1. Ein Mann kommt nach Deutschland
2. Vorspiel
3. Der Traum, Teil 1
4. Am Wasser
5. Im Zimmer des Mädchens
6. Die Verantwortung
7. Beim Oberst
8. Zum Zirkus
9. Im Kabarett
10. Nach Hause
11. Ein Haus, eine Tür
12. Der Traum, Teil 2

Beckmann fällt abermals in einen Selbstmordtraum: er klagt Gott an und die Stimme des “Anderen”, des anderen Beckmann, der zum Leben verführen will, verstummt…

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Das Bühnenbild als Collage von Manuela Weber. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

 

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Elbe und Beckmann. Bildquelle: © Nicole Ribbrock

 

Das Ende

„… und die Menschen gehen am Tod vorbei, achtlos, resigniert, blasiert, angeekelt und gleichgültig. Warum redet ihr denn nicht? Gebt doch Antwort! …“ (Beckmann)

„… Wir hinken alle irgendwo …“ (Die Elbe)


Plakat09„7, 8, 9 AUS!“ – Ein bissiger Kommentar

Mit dem Programm “…7, 8, 9 aus!” zeigte Ensemble Bitter einen bissigen Kommentar auf die aktuelle Arbeitswelt. Spucken, Beissen, Treten: alles ist erlaubt. Wir geben alles für die Firma, alles für das Wachstum. Damit wir es einmal besser haben, als unsere Kinder …

Et jibt Karrieren – die jehn durch den Hintern.
Die Leute kriechen bei die Vorjesetzten rin.
Da is et warm. Da kenn se ibawintern.
Da bleihm se denn ne Weile drin.
I, denken die – kein Neid! Wer hat, der hat.
Denn komm se raus. Denn sind se plötzlich wat.
Denn sind se plötzlich feine Herrn jeworden!
Denn kenn die de Kollejen jahnich mehr.
Vor Eifa wolln se jeden jleich amorden:
“Ich bün Ihr Vorjesetzta! Bütte sehr!“
Und jeda wees doch, wie set ham jemacht!
Det wird so schnell vajessen … keena lacht.
Int Jejenteil.
Der sitzt noch nich drei Stunden
in seine neue Stellung drin – :
da hat sich schon’n junger Mann jefunden,
der kriechtn wieda hinten rin!
Und wenn die janze Hose kracht:
weil mancha so Karriere macht.
Er hat det Ding jeschohm. Nun sitzt a ehmt ohm.
Von oben frisch und munter
kuckt keena jerne runter.
Weil man so rasch vajisst,
wie man ruff, wie man ruff,
wie man ruffjekommen ist – !
(Kurt Tucholsky)


Plakat10„Seitenhiebe“ – Ein politischer Rückblick nach der Wende

Ensemble Bitter mit einem weiteren Programm des Kabaretts:

Wenn eine Partei eine Wahl verliert,
verliert sie an erster Stelle ihr Gedächtnis.
(Übrigens: wenn sie gewinnt, auch)
Und eine Partei mit löchrigem Gedächtnis wird sich
somit ihrer Versprechen nicht mehr erinnern.
Eine Wahl, die so aus dem Gedächtnis getilgt,
hat somit nicht stattgefunden.
Sollte aber nun dennoch, durch Geschichtsschreibung
oder ein unbestimmtes Gefühl an Schuld,
die Erinnerung an das Ereignis Wahl wieder aufkeimen,
müßte sich die Partei für den Sieger halten.
Wobei sich für den Sieger die Frage nach der Schuld nicht stellt.
Somit gehen Unschuld und Vergessen Hand in Hand.
Und diese Partei wird arbeiten und genießen
und lobpreisen seine Unschuld.
Bis zur nächsten Wahl.


Plakat11„Das Orchester“ – Eine Groteske nach Jean Anouilh

Wir sind schon wieder komisch oder über die untröstliche Fröhlichkeit

Jean Anouilh schätzte das Spiel so hoch, weil es imstande ist, den Schmerz zu überspielen. Untröstlich und fröhlich – so ist Anouilh in seinen Stücken. Er mag die Welt nicht, sie ist ihm zu schmutzig. Seine eigene dramatische Welt bevölkerte er mit einem Schwarm reiner junger Mädchen, als wolle er die Schöpfung korrigieren; doch in seinen Stücken (die er die “schwarzen” nannte) gehen sie alle unter, denn diese Trotzköpfe ihrer Ideale wollen das Unbedingte, das Absolute, und dies wird in der bedingten Welt der Kompromisse nicht geboten, außer im Tod.

So kommt auch dieses Orchester daher: Alltagstratsch und Streitereien zwischen unsäglichen Musiknummern der hingequälten professionellen Erheiterung. Die Darstellung einer empfindsamen, abgestandenen Seele wird hergerichtet als giftige Posse, die Trostlosigkeit mit entlarvendem, boshaftem Witz skizziert.

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Leon und Susanne. Bildquelle: © Jörg Weirauch
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Das Orchester. Bildquelle: © Jörg Weirauch

 

 

 

 

 

 

 

Ensemble Bitter zeigte das Orchester in einer neuen Inszenierung, in neuen Rollen und diesmal unter der Regie von Jörg Weirauch als Projektarbeit im Rahmen seiner Ausbildung zum Theaterpädagogen. Theaterpädagogik fördert die kulturelle und die Persönlichkeitsbildung. Wir fördern dies als theaterpädagogische Arbeit im Sinne einer kulturellen Bildungsarbeit. So soll die kulturelle und personale Identität der Teilnehmer und Zielgruppen weiterentwickelt und die Kunstform Theater als lebendiger Prozeß transparent werden. Mit diesem Orchester zeigen wir einen weiteren Schritt in diese Richtung.

Das Ende
Wenn das beste aller Klaviere nicht gestimmt ist, wird es scheußlich klingen,
selbst wenn Horowitz Chopin spielt. Der Schauspieler ist sein eigenes Klavier.
(George Tabori)

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[su_spoiler title=“Bitterstücke 2000 – 2005„]

Plakat12„…das Ganze noch mal von vorn!“ – (K)ein politisches Kabarett

Und wieder versuchte sich das Ensemble am Kabarett:
A – Der Apfel fällt nicht weit vom Gaul, der Arbeitslose gilt als faul.
B – Den Bimbes nimmt man gern zur Hand, Barspender bleiben unbenannt.
C – Der Cartoonist mag keinen Schmuh, im Gegensatz zur CDU.
D – Der Deifi holt den Dyba heim, den Detlef tut das wirklich freun.
E – Europa ist noch nicht ganz warm, der Euro macht uns jetzt schon arm.
F – Das Fallobst ist nicht sehr begehrt, die Frau gehört jetzt an den Herd.
G – Die Greencard ist ’ne Reiseart, die manchem Gast den Tod erspart.
H – Die Hannelore ist ganz Ohr, der Helmut schweigt uns gern was vor.
I – Die Industrie bildet nicht aus, holt Inder sich ganz gern ins Haus.
J – Der Juppie in höh’re Sphären steigt, ach, käm der Jumbo (oder die Concorde) doch auch so weit.
K – Die Kirche steckt ganz tief im Loch, den Klerusopfern kommt es hoch.
L – Land auf, Land ab wird viel gelogen, auch Lambsdorff hat uns oft betrogen.
M – Manch Mädchen bringt uns Wohlbehagen, von Merkel kann man das nicht sagen.
N – Die NeoNazis brüllen Zoten, die NPD gehört verboten.
O – Der Ossi kam mal aus der Tonne, jetzt guckt er prächtig in die Sonne.
P – Ein Pittbull beißt die Rentnerin, der Pudel schaut vor Angst nicht hin.
Q – Die Q schreibt man jetzt ohne h und vorne strich man ihr das K
R – Die Royals waren ganz verwundert, RoyalMum wurd‘ gingetränkte Hundert
S – Scientology von unten schlägt, der Schröder gern Armani trägt.
T – Die TVs halten viel von sich, auch Trockenklos sind widerlich.
U – Die Unke geht auf Straßen ein, die Umwelt kann uns schnuppe sein.
V – Das Veilchen wird oft überseh’n, dem Volk scheint’s ebenso zu geh’n.
W – Im world wide web durchs Internet, so kriegt der Walther Frau’n fürs Bett.
X – Das X kommt hier nochmal davon, das gleiche gilt für’s
Y – psilon.
In der Gesellschaft ist ein Riß, die Zukunft bleibt sehr ungewiß.


Plakat13„Bittermandel oder Ach wär’ die Welt aus Marzipan“

Eine absurde Endzeittragikomödie

Mit Hilfe eines Präparates hat ein ganzes Volk kollektiv Selbstmord begangen. Nur ein paar Randexistenzen sind zum Weiterleben verdammt. Während die einen um die letzten Reste des erlösenden Giftes kämpfen, wollen die anderen ein „neues Volk“ gründen.

Wird es mit den „Randgruppen“ ein Miteinanderleben-Experiment geben? Gründen sie ein neues Volk? Wie kommen sie aus dem Dilemma? Fragen, die nun beantwortet wurden.
Aber warum spielen wir zum zehnjährigen Jubiläum ausgerechnet dieses Stück? Weil es in einer hochtechnologisierten Welt, die wir nur scheinbar beherrschen, die kleinen Dinge sind, die grosse Wirkungen haben können. Vielleicht werfen wir mit diesem Stück schon heute einen kurzen Blick auf eine Gesellschaft von morgen, weil wir möglicherweise nur einen kurzen Augenblick nicht wachsam waren…

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Opening. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr
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Relaxed. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

 

 

 

 

 


Plakat14„Odyssee“

Ein rechteckiges Zimmer, ein verqualmter Raucherraum: 4 Personen, die sich unterhalten.
4 Reisen, die erzählt werden. Reisen, die tatsächlich und im Kopf stattgefunden haben. Irrwege von Menschen, denen man nicht direkt anmerkt, dass ihre Wahrnehmung etwas anders ist als die der Anderen.

Odyssee erzählt von den Irrwegen im Kopf und wird von Ensemble Bitter als klassisches Kammerspiel inszeniert. Ganz unprätentiös wird hier von vier Menschen erzählt, die als Patienten einer Nervenheilanstalt im Aufenthaltsraum aufeinander treffen. Dass sich dabei eine ganz eigene Komik und Poesie entwickelt und die Inszenierung sich bei diesem Thema eine große Leichtigkeit bewahrt und nie in irgendeine Form von Betroffenheit abrutscht, macht den besonderen Charme dieser Arbeit aus.

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Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Heinrich dreht Filme. Filme in seinem Kopf, die nie jemand zu sehen bekommt. Lena ist zum ersten Mal hier, aber sie weiß Bescheid. Sie isst mit Vorliebe Überraschungs­eier und sammelt deren Inhalt. Wenn ein Känguru drin ist, heißt das, dass man ein Baby bekommt. Lena und Heinrich reden miteinander, aneinander vorbei. Mit Ansgar, dem Neuen, könnte ein wenig Abwechslung in ihren Alltag im Raucheraufenthaltsraum der psychiatrischen Klinik kommen. Doch Ansgar sagt nicht viel. Aber er kann Willem, den Chronischen, aus der Reserve locken. Ausgerechnet den stummen Willem. Eines Morgens ist Willem verschwunden…

Dahinter steckt der ganz normale Wahnsinn einer entfremdeten Gesellschaft, die nur noch im Ausnahmezustand der Verrücktheit ansatzweise zu sich selbst zurückfindet. Wir stellen den Unterschschied zwischen den „Eingesperrten“ und denen, die Draussen sind, nicht mehr fest. Ja, vielmehr stellt sich die Frage: „Wer ist vor wem weggesperrt?“ Und so nehmen wir einen kurzen Moment am Leben, an den Wahrnehmungen und Erfahrungen von Heinrich, Lena, Ansgar und Willem Teil. Fast flüchtig, wie im Supermarkt an der Kasse oder im Bus nicken wir mit dem Kopf und sagen „ja, ja.“, als ob wir verstanden hätten. Haben wir wirklich verstanden?


Plakat15„Sichtwaisen“

Dichte Gedanken zu 60 Jahre Kriegsende

60 Jahre Kriegsende?

Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) zählt über 289 Kriege in der Zeit von 1945 bis 2005. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis 2005 ist eine fast stetige Zunahme der weltweiten Kriegsbelastung von etwa einem laufenden Krieg pro Jahr zu beobachten.

Vor 60 Jahren ging das selbst erklärte tausendjährige Reich nach nur 12 Jahren zu Ende. Unvorstellbare 55 Millionen Tote pflasterten seinen alptraumhaften Weg. Wir stehen heute fassungslos vor den bestialischen Auswüchsen von Nationalismus und Rassenwahn und gebrauchen Vokabeln wie „unbegreiflich“, „nicht nachvollziehbar“, „unvorstellbar“.

Und doch kapitulieren wir angesichts 300 Kriegen weltweit seit 1945. Es ist aber wichtig, dass wir die Ursachen begreifen, dass wir verstehen, wie es zu diesen montrösen Entwicklung kommen kann. Nationalismus, Rassenhass, Fremdenhass, Kulturhass, Massenwahn, Kadavergehorsam, gekränkte nationale Eitelkeit, all dies sind Faktoren, die beitragen.

Sie zu analysieren ist die wichtigste Aufgabe der Historiker und Politiker. Sie zu hinterfragen, ist die Aufgabe der Dichter und Denker. Wie sehen/sahen sie den Krieg, Kriegszeiten und gewalttätige Auseinandersetzungen? Unsere Aufgabe ist es, täglich zu hinterfragen, wo wir „kriegerisch” tätig sind. Fragen wir Dichter und Denker, fragen wir die, die beteiligt waren, als Täter und als Opfer. Nur so können wir lernen zu begreifen.

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Feldpostkarte. Bildquelle: © Jörg Pauli | theater&mehr

Ensemble Bitter weist mit dieser Veranstaltung in diese Richtung. Wir zitieren Feldpost aus unterschiedlichen Kriegen. Briefe, die von Greueltaten und Einsamkeit erzählen, von Hoffnung und Zuversicht, von der Glückseligkeit eines Bades nach vier Wochen Schlachtengetümmel.

Wir lesen Gedichte und Lyrik zum Thema Krieg und hören Musik aus Kriegszeiten. Und alles vor dem Hintergrund: 60 Jahre Kriegende.

Doch das ist aus unserer Sicht kein Grund zum Feiern. Wir gedenken an dieser Stelle aller Kriege in der Welt. Gedenken Sie mit…

 

 


Plakat16„Finale“

Das Beste immer zum Schluss!

5 Wahnsinnige haben die unverfängliche Idee, Kunstwerke zu produzieren. Sie diskutierten und arbeiteten miteinander, bis sich eines Tages der Kopf davonstehlen will. Das führt zu Verwirrung und Ärger und schließlich hat einer ein sehr einnehmendes Wesen, zeigt allen eine lange Nase und die anderen stehen ziemlich blöd da. Doch die anderen wehren sich.

Ensemble Bitter gibt zum Ende seines Bestehens eine Farce, die das Theater nicht besser hätte bieten können. Es erzählt von verschwiegenen Festivals, von Vertrauen und von Ent-Täuschungen, die zur Heilung führen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …

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